Szenen stellen Ereignisse (beinahe) in Echtzeit dar. Sie brauchen nicht nur Platz auf dem Papier, sondern auch Zeit zum Schreiben und Lesen. Wenn Leser*innen etwas erfahren, das nicht interessant und für die Geschichte wichtig ist, werden sie ungeduldig und das zu Recht: Schließlich schenken sie unserer Geschichte Zeit und die dürfen wir nicht mutwillig verplempern.

Deshalb brauchte jeder Text – sofern du kein Drehbuch oder Theaterstück schreibst – auch narrative Passagen, die die erzählte Zeit (also die Zeitspanne, die berichtet wird) und die Erzählzeit (also die Zeit, die es braucht, um die Geschichte zu erzählen) in ein ausgewogenes Verhältnis bringt.

Niemand möchte die acht Minuten genau mitverfolgen, die deine Figur unter der Dusche verbringt (es sei denn, es handelt sich um die berühmte Duschszene in Alfred Hitchcocks „Psycho“ oder um einen erotischen Roman). Hier reicht es zu schreiben: „Sie sprang noch schnell unter die Dusche, bevor sie zur Arbeit ging.“

Wenn eine Szene nichts Neues bringt

Eine Szene muss die Geschichte immer voranbringen. Die Hauptfigur einer Szene hat zu Beginn der Szene ein Ziel (X die Meinung zu sagen, von Y zu erfahren, wo der Schatz versteckt ist, ein Auto zu (ver-)kaufen etc.). Sie unternimmt nun alles, um dieses Ziel zu erreichen (was ihr gelingen kann, aber nicht muss – dann gibt es eine weitere Szene mit dem gleichen Ziel). Am Ende der Szene müssen sich Figur und/oder Situation verändert haben (z. B. hat die Figur ihr Ziel erreicht oder sie hat erfahren, dass es das falsche Ziel war oder sie hat ihr Ziel nicht erreicht, dafür aber wichtige Informationen/Instrumente erhalten, um das Ziel zu erreichen). Wenn nicht, ist die Szene überflüssig. Dann ersetze sie durch eine kurze narrative Passage.

Beispiel: Zwei Polizisten auf der Suche nach einem Verdächtigen. Die Szene: Sie sitzen im Wagen beobachten das Haus der Freundin des Verdächtigen. Während sie warten, unterhalten sie sich über das Theater, das um Megans und Prinz Harrys erstes Baby gemacht wird. Nach zwei Stunden erfahren sie, dass der Verdächtige mit seiner Freundin am Flughafen gesehen wurde, und brechen die Observierung ab. Das royale Baby spielt im Verlauf des Romans keine weitere Rolle.

Diese Szene kann in drei Sätzen zusammengefasst werden: Hans und Herta saßen seit zwei Stunden im Wagen und beobachteten das Haus der dicken Dora. Die Sonne brannte erbarmungslos auf das Blechdach des SUV und die beiden drohten in ihrem eigenen Schweiß zu ertrinken. Da endlich kam der erlösende Anruf: Der krumme Karl und die dicke Dora waren am Flughafen gesehen worden.

Das ginge auch noch kürzer: Hans und Herta saßen seit zwei Stunden im Wagen und beobachteten das Haus der dicken Dora, als der Anruf kam, dass der krumme Karl und seine Freundin am Flughafen gesehen worden waren. Allerdings geht in dieser Kürzestfassung eine Menge Atmosphäre verloren. Deshalb denke daran: Auch bei narrativen Passagen das Show don’t tell nicht völlig aus dem Blick verlieren.

Wenn die Handlung zu sehr verlangsamt wird

Wenn du auf einen Höhepunkt in deiner Geschichte zusteuerst, kann eine zu ausführliche szenische Darstellung die Handlung so sehr verlangsamen, dass deine Leser*innen im schlimmsten Fall nicht mehr weiterlesen.

Bemühen wir noch einmal die Duschsequenz vom Anfang. Deine Heldin will zur Arbeit gehen. Sie weiß (im Gegensatz zur Leser*in) noch nicht, dass sie heute entlassen werden soll/ nur knapp einem Bombenanschlag in der S-Bahn entgeht/ in der Teeküche die große Liebe trifft. Du baust die Spannung langsam auf, indem du die Morgenroutine beschreibst und verdeutlichst, was für ein toller Tag heute für deine Heldin ist (oder was für ein mieser Tag, wenn sie die große Liebe treffen wird). Aber wenn du nicht nur schreibst, dass sie beim Kaffeekochen vor sich hin pfeift (oder den Regentropfen zusieht, die die Scheibe herunterlaufen), sondern auch noch beschreibst, wie sie sich die Haare einschäumt und den Mund mit Mundwasser ausspült, übertreibst du es. Weder Mundwasser noch Haarshampoo sagen etwas über die Stimmung aus oder bereiten die überraschende Wendung vor.

Wenn Szenen verbunden werden müssen

Deine Figur ist in der nächsten Szene vielleicht an einem anderen Ort oder die Zeit ist eine andere. Hier kann es sinnvoll sein, diese Veränderung narrativ zu erzählen.

Beispiel: In den folgenden Wochen reiste Sieglinde quer durch Europa, immer auf der Suche nach dem einen Ort, an dem sie endlich Frieden finden würde. Nun saß sie in einem winzigen Zug, der aus nur einem Wagen bestand und dessen Endstation ein kleines Städtchen irgendwo zwischen Hamburg und Berlin war.

Wenn unwichtige Ereignisse berichtet werden müssen

Wenn deine Geschichte zum Beispiel an einer Schule spielt, reicht es, die Weihnachtsfeiertage kurz zu erwähnen.

Beispiel: Als er an die Schule zurückkehrte, fühlte er sich wie die Weihnachtsgans, die sie am ersten Feiertag verspeist hatten: Ausgenommen von der Verwandtschaft, die sich viel zu lange auf seine Kosten bei ihnen vergnügt hatte, gestopft von dem zu reichlichen Essen und sein Fett hatte er auch abbekommen, wenn seine Frau ihn immer wieder ermahnt hatte, nicht so maulfaul und unhöflich zu ihren Eltern zu sein.

Wenn Zeit vergangen ist

Wenn du größere Zeitspannen überbrücken willst, kannst du erzählen, wie sich die Jahreszeiten, Personen oder die Umgebung verändert haben.

Beispiel: Seit ihrer letzten Begegnung waren seine Haare um einiges grauer und lichter geworden.

Wenn du etwas über die „Backstory“, den Hintergrund der Geschichte erzählen willst

Sollen deine Leser*innen zum Beispiel etwas über die Familiengeschichte deiner Figur erfahren, das zwar für deine Geschichte wichtig ist, aber nicht so wichtig, dass es eine eigene Szene z. B. in Form einer Rückblende rechtfertigt, kannst du es auch narrativ erzählen.

Beispiel: Sie waren entfernt mit Kaiserin Sissi verwandt, das jedenfalls behauptet ihre Mutter, als sie ihr die alte Fotografie zeigte, die sie in der Schreibtischschublade gefunden hatte. Ihr Urururgroßvater hatte Kaiserin Sissi sogar einmal auf Schloss Possenhofen besucht, als Sissi noch keine Kaiserin, sondern nur Elisabeth, Herzogin in Bayern war. Mit diesem Wissen im Hinterkopf machte sich Gisa auf den Weg zur Schule. Heute würde sie es dieser blöden Desiree aber zeig