Warum zeigen, wenn ich doch bequem erzählen kann?

„Erzähle mir nicht, dass der Mond scheint, zeige mir lieber seinen Lichtschimmer auf einer Glasscherbe.“ Anton Chekov

Wenn wir schreiben, wollen wir unsere Leser*innen erreichen, sie berühren und fesseln. Letztendlich wollen wir sie spüren, beinahe erfahren lassen, was sie gerade lesen.

Dafür scheint es eine einfache Lösung zu geben: szenisch statt narrativ schreiben. Aber „zeigen, nicht behaupten“ meint mehr als Dialoge und „Action“.

Zum einen lassen sich damit narrative Passagen konkretisieren und damit anschaulicher, bildhafter machen. Zum anderen werden Gefühle, Atmosphäre und Stimmungen nicht nur behauptet (das Monster war grauenerregend), sondern anhand von Handlung, Dialog, (Körper-)Empfindungen, Aussehen etc. so gezeigt, dass die Leser*innen selbst erfahren und aus dem Gelesenen ableiten können.

Es ist letztendlich wie mit dem Lernen: Die Eltern konnten uns, als wir Kinder waren, noch so oft sagen, dass Feuer heiß ist und wir uns verbrennen können. Richtig verstehen, wo genau das Problem liegt, konnten wir erst, als das erste Streichhölzchen zwischen unseren Fingern heruntergebrannt ist.

Oder wer kennt nicht diese oder eine ähnliche Situation:

„Das Wasser ist saukalt. Da geh ich nicht schwimmen.“

„Stell dich nicht so an. Wir haben schon Juni. So kalt kann die Ostsee gar nicht sein.“ … stürzt sich in die Fluten … und bekommt Schnappatmung.

Wir können unseren Leser*innen viel erzählen, aber sie werden skeptisch bleiben, wenn wir es nicht zeigen. Bestenfalls haben wir einen solchen Vertrauensvorschuss, dass sie uns einfach glauben, wenn wir behaupten: „Dietlinde hatte schreckliche Angst“. Schlimmstenfalls klappen sie das Buch zu, weil sie nichts empfinden, von unserer Geschichte nicht berührt werden.

Narratives „show“

Narrative Passagen lassen sich spannenden gestalten, wenn du ins Detail gehst. Das wusste bereits Markus Fabius Quintilianus, der im 1. Jahrhundert nach Christus in Rom Rhetorik lehrte:

„Zweifelslos nämlich erfaßt derjenige, der sagt, die Stadt sei erobert worden, alles, was nur ein solcher Schicksalsschlag enthält, jedoch dringt es wie eine knappe Nachricht zu wenig tief ein in unser Gefühl. Wenn du dagegen das entfaltetest, was alles das eine Wort enthielt, dann wird das Flammenmeer erscheinen, das sich über die Häuser und Tempel ergossen hat, das Krachen der einstürzenden Dächer und das aus den so verschiedenen Lärmen entstehende eine Getöse, das ungewisse Fliehen der einen, die letzte Umarmung, in der andere an den Ihren hängen, das Weinen der Kinder und Frauen und die unseligerweise bis zu diesem Tag bewahrten Greise, […].“ (Quint VIII 3, 67f.)

Darum genau geht es, wenn du show don’t tell auf narrative Passagen anwendest. Allerdings ist nicht gemeint, dass du in epischer Breite davon berichtest, was du wahrnimmst, sondern darum, das Wichtige, Berührende, Einzigartige zu beschreiben. Du sollst nicht tatsächlich die Umgebung schildern, sondern nur das, was notwendig ist, um eine Atmosphäre aufzubauen, ein Bild bei deinen Leser*innen entstehen zu lassen.

Beispiel: „Vivis Häuschen sieht innen genauso aus, wie die Rosenranken draußen bereits angedroht haben. Während Vivi alle Fenster schließt, inspiziere ich jeden Winkel der rosa-weißen Einrichtung. Hemnes von Ikea. Meine Schwester hat die gleichen romantizistischen Schwedenbilligmöbel in ihrer Wohnung. Hier zwei Röschenkissen, dort eine Ansammlung Fotos in verschnörkelten Rähmchen. Drei Porzellanvasen in unterschiedlichen Größen mit bunten Sommerblumen gefüllt und wie zufällig auf dem Couchtisch abgestellt. Ein paar der unvermeidlichen Land-irgendwas-Zeitungen liegen hübsch arrangiert daneben. Eine selbstgestrickt wirkende Decke ist lässig über der Sofalehne drapiert. Das Ding gibt’s beim Teleshopping für schlappe hundertzwanzig Euro – reine Schurwolle.“ (Feldhorst, Anja: Apiophobia, Kurzgeschichte in: Imkermord & Bienentod, hrsg. von Sabrina Moriggl. Gerlingen 2017, S. 24)

Gefühle, Atmosphären, Stimmungen vermitteln

„Thomas hat einen anaphylaktischen Schock“ ist eine Feststellung, die deine Leser*innen zur Kenntnis nehmen, aber die sie nicht packen wird.

Besser wäre zum Beispiel: „Als die erste Biene zusticht, registriere ich es kaum. Doch dann beginnt das Kribbeln, ich spüre, wie sich die Haut an meinem Oberarm über der wachsenden Schwellung schmerzhaft spannt. Mir wird schwindelig, ich wanke zum Waschbecken und halte mich fest, um nicht umzukippen. Mein Herz rast und ein dringendes Bedürfnis, meinen Mageninhalt loszuwerden, meldet sich. Ich umklammere das kühle Porzellan des Beckenrandes, hole tief Luft. Einmal, zweimal, dreimal. Das Wummern meines Pulsschlags in den Ohren lässt nach.“ (ebenda, S. 27)

Dass Thomas offenbar gegen Bienengift allergisch ist, kann sich der*die Leser*in denken. Das muss ich nicht ausformulieren.

Damit wird eine Stärke des Zeigens deutlich: Deine Leser*innen können selbst entdecken, interpretieren und werden nicht belehrt. Die wenigstens ertragen den „Erklärbärmodus“ oder eine „Predigt“ dauerhaft. Sie wollen selbst entdecken, mitraten, mitfühlen, miterleben. Das erreichst du, indem du nicht behauptest, dass etwas so und so ist, sondern alle deine Sinne bemühst, um es zu zeigen:

Wie schmeckt die Angst, wie riecht sie? Wie sieht sie aus? Was für Geräusche macht sie? Wie kannst du sie spüren?

Oder auch: Wie riecht ein lauer Sommertag, wie schmeckt die Seeluft? Wie hört sich Wind an und wie fühlt er sich an auf der Haut?

Versuche dabei nicht, auf Worthülsen und Bilder zurückzugreifen, die schon zur Genüge bemüht wurden: Sie war rot/schäumte vor Wut. Er war weiß wie die Wand. Ihm standen die Haare zu Berge. Ihre Stimme war so kalt wie Eis. Das Haus brannte wie eine Fackel.

Finde neue Wörter, neue Bilder. Das macht Mühe, lohnt sich aber, denn deine Leser*innen können nicht nur auf der Handlungsebene Neues in deiner Geschichte entdecken. Und es macht Spaß, mit Worten zu spielen.