Inspiration aus dem Alltag

Selbst wenn wir Fiktion und nicht autobiografisch schreiben – die Ideen sammeln wir quasi auf der Straße ein. Beobachtungen, erlebte oder gesehene Szenen, ein Blatt, das im Herbstwind durch die Luft trudelt. All das sind Samenkörnchen, aus denen Geschichten wachsen können.

Selbst Science Fiction, Fantasy oder andere Genreliteratur, die nicht von dieser Welt zu sein scheint, fußt in dem, was wir tagtäglich sehen, lesen, hören, erleben.

Deshalb ist Interesse an dem, was um uns herum geschieht, „überlebenswichtig“.

„Wir Schriftsteller neigen zum Gaffen. Wir sind die geborenen Beobachter, starren Menschen an, die in der Postfiliale anstehen, belauschen Gespräche in der U-Bahn, machen uns heimlich Notizen über das ungewöhnliche Gesicht eines Menschen, den wir gesehen haben, oder über einen mitgehörten Streit.“ (Titus Müller – Autor)

Auch wenn du gerade an einem völlig anderen Projekt arbeitest, notiere dir, was dir auffällt, was dich anspricht. Wenn deine Fantasie in Bewegung gerät, schreibe – irgendwann wirst du diese Textskizze nutzen können.

Alles, was wir erleben, ist eine potenzielle Geschichte. Wir durchleben wie andere auch kleine und große Dramen, Beglückendes, Schönes, Katastrophen und Überraschungen. Kreative Menschen – egal ob Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen, bildende Künstler*innen – ziehen ein „Ideennetz“ (Orson Scott Card) hinter sich her, in dem sie all diese Ereignisse sammeln und in ihrer Kunst verarbeiten.

Wenn die eigene Erfahrung fehlt: blutleere Texte

Die erzählerische Kraft von Romanen stammt nicht aus einem genialen Plot oder von raffinierten Wendungen, Cliffhanger oder sonstigen handwerklichen Kniffen. Sie erwächst vor allem aus der Authentizität.

Das Beobachtete oder selbst Erlebte haucht der Geschichte Leben ein. Die Details, die wir nur kennen – und daher beschreiben – können, wenn wir sie gesehen, gefühlt, gerochen, gehört, kurz: erfahren haben, machen Figuren glaubwürdig und Szenen bildhaft.

Deshalb findet sich in jeder Szene etwas, das wir gesehen haben. Nur wer schon einmal dabei war, wenn eine Sickergrube abgepumpt wurde, kann beschreiben, wie infernalisch der Gestank ist.

Das heißt nicht, dass wir alles selbst erlebt haben müssen. Vielleicht hast du nie erfahren müssen, wie es ist, wenn jemand in der Zeitung etwas Unwahres über dich schreibt. Deshalb kannst du nicht aus erster Hand nachfühlen, wie sich deine Heldin, die Schauspielerin ist, fühlt, wenn in der Klatschpresse eine Lüge über sie erzählt wird. Aber du weißt vielleicht, wie es war, als dein Kollege hinter deinem Rücken über dich getratscht hat oder deine ehemals beste Freundin in der Schule nach einem Streit Gemeinheiten über dich verbreitet hat.

Selbstbeobachtung und lebendige Figuren

Unsere Figuren werden einzigartig durch ihre Eigenheiten. Ein Kommissar ermittelt, eine Ärztin heilt Menschen, fürsorgliche Eltern achten darauf, dass ihre Kinder warm angezogen zum Rodeln gehen. Aber erst wenn unser Kommissar als Ausgleich zu seinem Job imkert, die Ärztin besonders empfindlich auf Gerüche reagiert und die Eltern heimlich mit der Playstation ihrer Sprösslinge spielen, wenn die beim Rodeln sind, bleiben die Figuren in Erinnerung.

Hilfreich ist es, wenn wir unsere persönlichen Eigenheiten kennen und beobachten und die ein oder andere an unsere Figuren weitergeben. Ein Mensch, der selbst in der Nähe eines Schweinestalls olfaktorisch unbeeindruckt ist, kann sich nur schwer in eine Ärztin mit einem hypersensiblen Riechorgan hineinversetzen. Rümpfe ich selbst aber schon bei einem reifen Tilsiter angewidert die Nase, kann ich die Empfindungen der Ärztin bei der Untersuchung ungewaschener Füße wunderbar beschreiben.

Solche Selbsterkenntnisse lassen auch Gegenspieler*innen authentischer und „böser“ werden. Denn häufig haben die Antagonist*innen ähnliche Gefühle und Motivationen wie der Rest der Welt, nur in einer extremeren Form, die sie dann zu ihren (bösen) Handlungen treibt. Sie sind nicht nur wütend, dass jemand ihnen den Job weggeschnappt hat und würden die Person am liebsten erwürgen, sondern sie tun es auch. Aber die Wut- und Neidgefühle sind vergleichbar mit unseren eigenen in so einer Situation – nur viel, viel stärker.

Das bedeutet:

  • Sei neugierig, beobachte, höre und sieh hin – und notiere dir, was du siehst, hörst, riechst, spürst. Geh fischen und ziehen dein Ideennetz hinter dir her.
  • Verarbeite das Erlebte in deinen Texten, sei hemmungs- aber nicht rücksichtslos. Verändere Figuren und Begebenheiten so, dass sich niemand wiedererkennt oder – bei autobiografischen Texten und realen Ereignissen – verletzt fühlt.
  • Erkenne dich selbst! Erforsche dich, dein Handeln und deine Motive und lass deine Figuren aus deinem eigenen Erleben heraus handeln.